Eindrücke, Gedanken…


1925 Neudorf - Taufe von Dietlinde Schmidt

Liebe Leser/innen der Leschkircher Heimatglocke und der Internetseite www.leschkirch.de!

Sie werden sich fragen: „Was haben diese Menschen – Familie Timm – mit Leschkirch zu tun?“ Das ist ganz einfach. Nach dem Tod unserer Mutter Dietlinde Timm, geb. Schmidt (geb. 17. 06. 1925 bis 09 .04. 2010) hatten wir Kinder die Aufgabe, die Wohnung und Hinterlassenschaften aufzuräumen.
Schon in der Traueranzeige baten wir darum, statt Blumen & Kränze, für die Kirche in Leschkirch zu spenden. Viele in unserer Verwandtschaft wissen nur ungefähr um die Heimat unserer Mutter, wir 7 Kinder – wissen etwas mehr – besonders durch die Erzählungen unserer Großmutter Erna Schmidt. Und man staunt im Nachhinein, was man sich detailgetreu von den Erzählungen der Alten merkt – wenn man es heute „abruft“.
Unsere Großmutter (mütterlicherseits) Erna Schmidt heiratete 1924 den jungen Siebenbürger Pfarrer Dr. Alfred Schmidt (geb. in Kelling), zu der Zeit in Hermannstadt, dann 3 – 4 Jahre in Neudorf (Nou) und dann schließlich von 1929 bis Mai 1932 in Leschkirch.
Als Enkelsohn war ich oft bei meiner Großmutter Erna im Zimmer (sie wohnte bei uns seit meiner Kindheit) und hörte so unzählige Geschichten, aus ihren jungen glücklichen Jahren in Siebenbürgen. Ihr Zimmer war geschmückt, mit den bei Petroleumlicht selbst gestickten Wandbehängen „Siebenbürgen – Süße Heimat“, Fotos der Evang. Stadtkirche Hermannstadt. Die Liebe und Achtung zu meiner Großmutter Erna – ((Großvater Alfred Schmidt 3. 4. 1898 bis 3. 4. 1958 – habe ich (Jahrgang 1960) nicht mehr kennengelernt)) – hinterließ ihre fruchtbaren Spuren.
Der Verlust meiner Mutter warf bei mir immer wieder die Frage auf, woher hat meine Mutter Dietlinde all die Kraft genommen, den schweren Lebensweg – mit Gottes Hilfe – wie sie oft sagte – zu bewältigen. Sie war ein fröhlicher Mensch, der Tisch Zuhause reichte immer für alle, und wurde verlängert und dazugestellt.
Oma erzählte oft, dass die Kinder mit Büffelmilch gestillt wurden, meine Mutter auch. Insgesamt hatten Pfarrer Schmidts 6 Töchter, wovon noch 4 Töchter leben und schwesterlichen Zusammenhalt pflegen – wie zu alten Zeiten. Unsere Tanten, wissen ebenso vieles aus Überlieferungen ihrer Eltern zu erzählen – (Ilse, geb. 1927 in Neudorf (Nou), Gerda (geb.1930) und Hilde (geb. 1931) beide in Leschkirch (Nocrich) und Waltraud (geb. 1935) in Deutschland.
Früher wurde viel erzählt und gemeinsam Fotos angeschaut. Dadurch haben wir jetzt einen wunderbaren Wissensschatz, wer was wann auf den Bildern ist oder sein soll. Mich faszinierte das ganz kleine Foto, wo unsere Mutter barfuß in Leschkirch auf dem sandigen Kirchvorplatz steht.
Mutter wollte immer noch einmal in das Dorf ihrer Kindheit. Im Jahr 2002 ist sie mit einem Hilfstransport der Mecklenburgischen Kirche mitgefahren (2.000 km weit mit 77 Jahren), aber Leschkirch stand nicht auf der Tour.

2004 - Dietlinde Timm in Siebenbürgen

Im September 2004 lud sie uns Kinder ein, mit ihr zusammen, aus Anlass ihres bevorstehenden 80. Geburtstages im Jahr 2005, mit der Mecklenburgischen Ev. Kirchenzeitung eine organisierte Reise nach Rumänien und Siebenbürgen zu machen. 4 von 7 Kindern fuhren damals mit Mutter mit. Alle wichtigen Orte haben wir gesehen – Neudorf und Leschkirch wieder nicht! So haben wir Kinder uns dann zu Mutters Tod besprochen und wie bereits erwähnt, das Geld für Leschkirch/Siebenbürgen zu sammeln. Wie es dahin kommt und ob und wo es dann wirklich ankommt, war uns im April 2010 noch nicht bewusst.
Im Oktober 2010 bekam ich die Möglichkeit mit Timm-Verwandten nach Siebenbürgen zu reisen. Durch sie bekam ich eine Ahnung, dass es per Flug von Berlin über Wien nach Hermannstadt in wenigen Stunden ganz schnell gehen kann. Sie wollten auch individuell durchs Land reisen und Dörfer, Menschen, Kirchenburgen und die schöne Landschaft sehen. So gingen wir auf Siebenbürgenreise – einer von unserer kleinen Gruppe suchte das Grab seines Vaters, in der Nähe von Racos/Marienburg – der 10 Tage vor seiner Geburt im August 1944 dort gefallen ist. So bekam die ganze Reise eine sehr persönliche und emotionale Seite. Unvorstellbar, das lässt sich hier nicht beschreiben!!!
Wir sahen Leschkirch, waren im Pfarrhaus (wo meine Mutter und ihre Schwestern erste Kindheitsjahre erlebten. Ich hatte einen großen Umschlag alter schwarz-weiß Fotos aus diesen Jahren zwischen 1924 bis 1932 dabei – und ich erkannte vieles im Ort wieder!! Stand im Pfarrhaus, wovon ein weihnachtliches Krippenspielfoto mit den Großeltern im Hintergrund zeugt. Auf einmal fühlte ich mich meiner Großmutter und Mutter wieder ganz nah! Alles was sie mir/uns erzählt hatten, konnte ich jetzt sehen – 80 bis 85 Jahre später. Ich stellte mich an die gleiche Stelle wie meine Mutter vor der Leschkircher Kirche 1929.

1929 - Dietlinde Schmidt mit Eltern in Leschkirch

Unterwegs in Alzen lernten wir durch Zufall Frau Rosi Müller kennen. Ein menschlicher Schatz. Die Seele und das Herz geht auf….
Nach meiner Rückkehr aus Siebenbürgen stöberte ich rastlos im Internet herum und wollte finden, was ich nicht wusste. Über „www.siebenbürger.de“ kam ich auf ein paar Fotos und Informationen über „Leschkirch/Nocrich“ und stellte auch ein paar Fotos dort hinein, mit der Hoffnung darüber jemanden aufmerksam zu machen und zu finden. Nach langem Suchen fand ich das „Projekt Kirchenburg Leschkirch“ von einem Gustav Müller – den ich nicht kannte. Ich versuchte Kontakt aufzunehmen, zurückhaltend über Email. Weil lange keine Antwort kam, entschloss ich mich bei Gustav Müller anzurufen…das Eis war schnell gebrochen, schon im ersten Gespräch. Wir telefonierten 2 Stunden! Ich weiß es noch ganz genau. Dann aktualisierten wir die Emaildaten und tauschten Fotos aus. In Mutters Schätzen und Kartons waren ganz viele alte Fotos drin, auch von Pepi Fischer. Schätze!
Und man glaubt es kaum, auf meinen alten Fotos meiner Großeltern erkannte dann Gustav Müller seine Großmutter wieder. Müllers wohnten nebenan, gleich neben dem Pfarrhaus in Leschkirch. Je mehr ich die alten Fotos einscannte und in der Vergrößerung Details erkannte, desto lebendiger wurde mein Interesse für die Sache. Ich fand in meinem Küchenschrank eine alte weiße Küchenschüssel – wie sie dort im Gemeindehaus üblich waren. Gustav holte früher oft das Wasser aus dem Brunnen des Pfarrhofes nebenan.
Durch Gustav Müller in Iserlohn hörte ich dann näheres über die HOG Leschkirch, den Verein der sich gründen wird… Ich bemerkte, wie auch sein Herz für seine Heimat schlägt.

2011 - Eingang Leschkircher Kirche -Tilman, Dietlinde, Rosi, Reglindis.

Da war für mich klar, dass ich „Mitglied“ werde und durch unsere Familien-Spende – von Mutters Beerdigung – für die Erhaltung und Sicherung der Kirchenburg Leschkirch beitragen werde. Das wäre ganz im Sinne unserer Mutter gewesen. Meinen Tanten (Mutters Schwestern) Ilse, Gerda, Hilde und Waltraud habe ich davon erzählt und sie mit meiner Freude angesteckt. Meinen Geschwistern erging es ebenso. Es klingt wie eine unglaubliche Geschichte, die natürlich noch weitergeht. Das aber zu einem späteren Zeitpunkt.
Im Februar 2011 kamen dann zwei Schwestern meiner Mutter zu mir nach Berlin und wir sichteten die alten Dokumente, Briefe, Urkunden und beschrifteten sie. Bis spät in die Nacht wurde bei uns diese Vergangenheit unserer Großeltern lebendig. Wir besuchten gemeinsam die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers in Sachsenhausen, wo unsere Mutter Dietlinde 1946 bis 1950 verbrachte. Ende März 2011 besuchte ich dann erstmalig Gustav Müller und Familie in Iserlohn. Es war wie ein nach-Hause-kommen. Gustavs Mutter und meine Tante Gerda wurden zur gleichen Zeit in Leschkirch geboren. Ich lernte Schwester und Mutter kennen. Es gab siebenbürgische Küche, herzliche Gastfreundschaft – soviel Herzlichkeit und Offenheit für einen „fremden Gast“ – aus einer späteren Generation der Vorfahren.
Gespräche bis tief in die Nacht, immer mehr Verbindungen – zu der Vergangenheit meines Großvaters Alfred Schmidt und den Personen, mit denen sie zusammen lebten und arbeiteten. Namen wie die der Familie Thudt, Brestowski, Josef Pepi Fischer, Oskar Pastior (sen.), Greising, Schmidt, Buchholzer… bekommen auf einmal Gesichter. Durch das Zusammenführen unserer Geschichten, Erzählungen, Dokumente wird die Zeitgeschichte immer lebendiger.

2011 - Hermannstadt

Eine meiner Tanten sagte einmal, ich sei meinem Großvater Alfred sehr ähnlich! Ich kenne ihn nur durch diese Schätze und Überlieferungen. Nach diesen Reisen kann ich sein Heimatgefühl und seine Sehnsucht nach Siebenbürgen verstehen, das überliefert wurde. 1932 kamen sie nach Deutschland in die Nähe von Naumburg (Pödelist), wo er bis kurz vor seinem Tode Pfarrer war.
Großvater litt immer an der Sehnsucht nach seinem Siebenbürgen und dem Land der Karpaten. Jetzt, wo ich davon ein Stück gesehen und erlebt habe, kann ich es verstehen. Er konnte damals durch die Kriegswirrungen des 2. Weltkrieges nur 1937 zu seinen Eltern nach Hermannstadt. Dann nie wieder ! Davon gibt es viele Briefe, die zeigen, wie viel Heimatliebe möglich ist.

 

Im Namen und Sinne der 7 Kinder unserer Mutter Dietlinde Timm, geb. Schmidt – einem Teil der 18 Enkel von Alfred und Erna Schmidt – schrieb hier Tilman Timm (Berlin), für Andreas Timm (Graal-Müritz), Reglindis Timm (Neubukow), Martin Timm (Neubukow), Juliane Reppenhagen (Grevesmühlen), Ulrich Timm (Neubukow), Dietlinde Timm -(jr) (Minden).

von Tilman Timm

 

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