Samuel Dörr


Als Abgeordneter wirkte er in vielfacher Weise für das Wohl seiner Mitbürger

In einer Nachricht vom Ableben des Samuel Dörr war 1911 in den Kirchlichen Blättern zu lesen: „Am 1. dieses Monats (August 1911) starb in seinem Heimatorte Leschkirch der langjährige Abgeordnete des Leschkircher Wahlkreises Samuel Dörr im 87. Lebensjahre. Ein treuer Sohn seines Volkes und seiner Kirche, hat er seine ausdauernde Arbeitskraft der Pflege und dem Schutze ihrer Lebensinteressen gewidmet und von früher Jugend bis zum späten Lebensabend in den Sielen gestanden“.

Der am 3. August 1824 in Leschkirch geborene Beamtensohn entstammte keiner alteingesessenen Familie der Gemeinde, wie es die Brekner von Brukenthal, Conrad oder Kißling waren. Der Großvater Daniel Dörr, in Klein-Schergied geboren (sein Geburtsjahr ist uns nicht bekannt), war ab den 1760er Jahren Prediger in Leschkirch, heiratete hier 1769 die Bauerntochter Agnetha Schuster, wurde 1787 in die erledigte Bägendorfer Pfarre berufen und starb 1813. Der Vater Samuel Dörr sen. (1781-1865), war Stuhlforstmeister in Leschkirch, die Mutter Susanna, geborene Weber (1795-186?), Agnethler Pfarrerstochter.

Samuel Dörr wuchs mit vier Geschwistern (drei weitere waren im zarten Kindesalter gestorben) im ansehnlichen Elternhaus am Leschkircher Marktplatz auf. Nach Besuch der Hauptvolksschule in der Heimatgemeinde und des Gymnasiums in Schäßburg folgte das Studium in Halle und Dresden. Kaum wieder zu Hause, „brach auch in unserem engen Vaterland jener verhängnisvolle Bürgerkrieg aus, welcher alle kampffähigen Mannen zum Kampfe rief“, schrieb Dörr später. Zuerst als „freiwilliger Gemeiner und dann als Hauptmann einer Landsturm-Abteilung“ hat Dörr für Kaiser und Vaterland gekämpft, wofür er später von Sr. Majestät dem Kaiser Franz Josef I. mit dem goldenen Verdienstkreuz belohnt“ wurde. Danach „in den k.u.k Staatsdienst“ eingetreten, war er in den Jahren 1851-1861 in den Bezirken Großschenk und Freck als „Canzlist“, dann als „Aktuar“ tätig. In unmittelbarer Nähre von Freck, in Unter-Szombat (Sâmbâta de Jos), fand Samuel Dörr seine Lebensgefährtin Eleonore (1833 – 1890), Tochter des Rechnungsbeamten Samuel Benkner, der aus einer altern Kronstädter Patrizierfamilie stammte.

1864 wurde Dörr zum „Assesor“ beim Leschkircher Stuhlsamt ernannt. Mit dem Erreichten war er jedoch nicht zufrieden, vielmehr wollte er sein Wissen und das ihm entgegengebrachte Vertrauen mit ganzer Kraft zum Wohle seiner Mitbürger einsetzen. Seine Wähler, die Bewohner der einstigen Stuhlsgemeinden – Sachsen und Rumänen – hat er in der Tat nie enttäuscht: Er verteidigte ihre Interessen und kämpfte für sie, stellte sich jeder Herausforderung ohne auf materielle Vorteile bedacht zu sein. So wirkte er in den kirchlichen und vor allem in politischen Gremien auf verschiedenen Ebenen. Als guter evangelischer Christ war er über vier Jahrzehnte lang Presbyter der Leschkircher Kirchengemeinde, davon 1863 – 1910 Kurator, und vertrat die Gemeinde auch in der Leschkircher politischen Kommunität. In der Leschkircher Stuhlversammlung war Dörr seit 1867 Ratsmitglied, ab 1871 vertrat er den Leschkircher Stuhl in der Sächsischen Nationsuniversität, wo er mal in der Schulkommision (1881 – 1890) und dann in der finanzökonomischen Kommission (bis 1904) tätig war. Nach der „Zerschlagung des Königsbodens“ und der neuen administrativen Landeseinteilung in Komitate und Bezirke (1876) vertrat Dörr den Leschkircher Wahlbezirk in der Komitatsversammlung in Hermannstadt.

Stellvertretend sei hier nur eines der von ihm vorangetriebenen Anliegen genannt, der Bau der Schmalspurbahn Hermannstadt – Agnetheln, für den sich Dörr stark machte und ihn mit Erfolg in der Komitatsversammlung durchsetzte, nachdem die bereits über Leschkirch – Agnetheln – Reps trassierte erste Varianter der Hauptlinie Hermannstadt – Kronstadt fallengelassen worden war.

Viel größere Sorgen bereitete den siebenbürgischen Volksgruppen zu jener Zeit das ungarische Parlament in Budapest, wie aus der Presse der damaligen Jahre zu erfahren ist. Von März 1872 bis 1906 vertrat Samuel Dörr den Leschkircher Wahlkreis (der über die Bezirksgrenze hinausreichte) als Reichstagsabgeordneter in Budapest. Das Siebenbürgisch-Deutsche Tagesblatt berichtet,

???en der ganzen Bevölkerung“ bescheinigt wurde. So wurde er am 29. Juni 1881 in Leschkirch „durch Akklamation“ einstimmig wiedergewählt, und als der „Präses der Wahlcommision Josef Schullerus“ dies den zahlreichen Wählern bekanntgab, „erdröhnten Böllerschüsse“ und „eine Deputation ersuchte den Abgeordneten, in der Mitte der Wähler zu erscheinen, wo ihm der Präses (…) nach einer markigen Ansprache das Wahlprotocoll überreichte. Dankend nahm der gewählte Abgeordnete dasselbe entgegen und entwickelte in längerer (…) Rede sein politisches Glaubensbekenntnis. Brausende Hochrufe, wiederholte Böllerschüsse und rauschende Dorfmusik von Leschirchern schlossen den Wahlakt“.

Ähnliche Akklamationen gab es auf der „Wählerversammlung in Leschkirch vom 11. Juni 1882, zu der sich am Leschkircher Martplatz an die 1200 Wähler – Sachsen und Rumänen – versammelt hatten. Es war noch nicht 2 Uhr nachmittags, als auf der Leschkircher Straße von Siegbächel (Dolmer-Hill) her in unabsehbarer Wagenreihe mit prächtigen Rossen, aus Kastenholz, Thalheim, Rothberg, Neudorf, etwa 70 Wägen heranfuhren. Vor dem Markt verließ das stattliche Musikchor aus Rothberg die Wägen und stellte sich an die Spitze des Zuges. Die Tore der Leschkricher Gastfreunde taten sich auf und mit herzlichem Willkommensgruß wurden die wackeren Männer empfangen.“ Es folgten die Wähler von Marpod, Kirchberg und Burgberg. Aus Alzen und Holzmengen kamen auch viele Frauen und Jugengliche „in ihrer zierlichen Sonntagskleidung“ sowie zwei „Feuerwehren in kleidsamer Berufstracht“. An den im Portal der Kirche aufgestellten Tischen nahmen das Komitee, der Schriftführer und der abgeholte Reichstagsabgeordnete Samuel Dörr Platz. In seinem Rechenschaftsbericht informierte dieser seine Wähler über die finanziellen Verhältnisse des Staates, über die neuen Gesetze und die Hetzkampagne einiger ungarischer Abgeordneter gegen den in Deutschland gegründeten „Deutschen Schulverein“, der sich für den Erhalt der deutschen Schulen in der ungarischen Reichshälfte einsetze. Dörr schloss mit den Worten: Wir werden Fremdlinge und Vaterlandsverräter geheißen (…) Warum? Weil wir Deutsche sind und Deutsche bleiben wollen.“

Dass es Dörr nicht nur um sächsische Angelegenheiten ging, ist u.a. einem Bericht des Tagblattes über die Reichstagswahl vom 20. Juni 1887 zu entnehmen: „Und wer sie bei dieser Gelegenheit sah, drei Religionen und Angehörige dreier Nationen in Friede und Eintracht, der hat wahrlich ein schönes und erfreuliches Bild sich mit heimgenommen, ein Bild des Friedens in kriegerischer Zeit.“

Einiges zum Privatleben von Samuel Dörr: Nachdem seine Gattin im Februar 1890 gestorben, die Söhne Albert (Oberstuhlrichter in Mühlbach, später Bürgermeister von Hermannstadt, nach 1918 Präfekt des Hermannstädters Komitates) und Samuel (General) sowie Tochter Eleonore (verheiratete von Lemeny) aus dem Hause gezogen waren und nur noch die 16jährige Viktorine im elterlichen Nest verblieben war, hielt Dörr inne und schrieb 1894 rückblickend: „Und hier wird der Platz sein, wo ich Gott den Allmächtigen, in dessen Händen die Schicksale aller Menschen liegen. Dank sage für die Hilfe und die Gnade, die er meinem Leben erwiesen hat.“

Seine zahlreichen Ämter gab Dörr am Anfang dieses Jahrhunderts nach und nach in jüngere Hände ab. Hochbetagt lebte er in Leschkirch, umsorgt von der Schwägerin Antoine Benkner (1826 – 1909), geehrt und geliebt von allen Mitbewohnern, die seine Ehrlichkeit  und seinen Gerechtigkeitssinn hoch schätzten. Zu seinem „Leichenbegräbnis“ kamen viele Menschen aus Leschkirch und den Nachbargemeinden sowie Persönlichkeiten aus der Zeit des „politischen Kampfes“, darunter auch politische Gegner, um ihm Achtung zu erweisen. Der majestätisch wirkende Gabbro-Grabstein, der die Ruhestätte von Samuel und Eleonore Dörr schmückt, kann auf dem evangelischen Friedhof in Leschkirch auch heute nicht übersehen werden.

Bild (oben): Das ehemalige Haus der Familie Dörr in Leschkirch


von Michael Edling



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