“Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?”


Auch heute noch stehe ich in Gedanken in Leschkirch vor meinem Elternhaus, blicke zu der nur 200 Schritte entfernten Kirche, erkenne deutlich die Stundenzeit auf der Turmuhr und höre die Viertelstundenschläge.
Meine ersten “Kontakte” zur Kirche waren das alljährliche Aufsagen von Gedichten an Heiligabend unterm Christbaum und Ostern von einigen Schülern, wofür wir unsere Eltern besondere Freude bereiteten.
Die Ehe der Großtante war kinderlos geblieben und sie fand als eine christliche Tat, den Enkelkindern unserer Großmutter (mütterlicherseits) je ein Gesangbuch zur Konfirmation zu schenken. Wegen den unsicheren Nachkrigsjahren und dem Alter der Großtante, erhielten wir Jüngeren das Geschenk schon vor der Konfirmation. Mein Gesangbuch hat mich auf meinem Lebensweg begleitet und ist auch heute noch in greifbarer Nähe im Bücherregal.
Unser Herr Pfarrer Hermann Rehner (Pfarramtsverweser) der Jahre 1948 – 1950 hielt im Winter an zwei Abenden im Monat in dem Wohnzimmer meiner zwei älteren behinderten Vettern Leseabende, an denen auch bis vier ältere Frauen und ich teilnahmen. Es war mein erster Religionsunterricht.
Nach der Konfirmation, 1950, folgte meine Berufsausbildung in Hermannstadt, wo wir Schüler in den Pausen die große Stadtpfarrkirche bewunderten und das Teusch-Denkmal bestaunen konnten, ohne zu ahnen, wer dieser herabblickende Mann eigentlich gewesen war.
In das Berufsleben entlassen, hatte ich dann auch Gelegenheit, Kirchen und Kirchenburgen zu sehen und zu bestaunen (Michelsberg, Agnetheln, Schönberg, u. a.) und mir die Frage zu stellen: Warum hat unser Leschkirch keine solche Kirchenburg und nur vier so dastehende Wehrtürme?
Der am Sonntag, dem 30. September 1956, gehaltene Gottesdienst anlässlich des 150-jährigen Jubiläums unserer “neuen” Kirche, in dem Bischof Friedrich Müller (d.J.) die Festpredigt gehalten und unser Pfarrer Helmut von Hochmeister (d. Ä.) den ausführlichen Bericht zum Bau der Kirche (1803 – 1806) vorgetragen hatte, hat mich so neugierig gemacht, was mich nie mehr loslassen sollte. In den folgenden Jahren nützte ich bei meinen Besuchen in Leschkirch jede Gelegenheit, alte Menschen auszufragen, Daten aufzuschreiben und Fotos zu sammeln. Fachliteratur zur Kirchenburgengeschichte war für mich damals noch unauffindbar.
Durch den Wechsel von Hermannstadt nach Mediasch erweiterte sich mein Kirchenburgenbild (Meschen, Birthälm, Almen, Hetzeldorf, Baaßen, Bogeschdorf, u. a.), und nach erneutem Wechsel von den Baustellen in die Betriebszentrale des Unternehmens verfügte ich mehr Freiheit für meine Forschung. Aus den drei deutschsprachigen Zeitungen konnte ich oft Neues entdecken. Durch die Kontaktaufnahme zu Arch. Hermann Fabini, später auch zu Arch. Paul Niedermaier, habe ich vieles lernen können, was mich danach veranlasste, meine Forschungsergebnisse in der Zeitung zu veröffentlichen (DW 22. 10. 1976) und später mit der 1990 entgültig erstellten Kichenburgdokumentation es möglich geworden ist, dass sie in den “Atlas der siebenbürgisch-sächsischen Kichenburgen und Dorfkirchen” (1. Band) Aufnahme gefunden hat.
Meine Berufung zur Stadtpfarrgemeide Mediasch – mit Zuständigkeit der Restaurierung der Kirche und des Kirchenkastells – ermöglichten mir entsprechende Fachliteratur einsehen zu können.
Auch konnte ich den Jahren viele Details zur Leschkircher Kirchenburg finden und es wurde mir in aller Deutlichkeit klar, was wir Siebenbüger Sachsen unserem evangelischen Glauben, unseren Kirchen und Kirchenburgen verdanken: unser Überleben als evangelische Christen! Den Beleg fand ich auch in dem von unseren Leschkircher Vorfahren 1673 an dem Stuhlsbeamten- (Speck-)turm geschriebenen Bibeltext (Rö. 8,31):, “Si Deus nobiscum, quis contra nos?” (Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?).
Große Achtung und Bewunderung für unsere Vorfahren empfand – und empfinde – ich für die, die in all den Jahrhunderten für unsere Kirche und Kirchengemeinde jedesmal da waren und bereit einzuspringen, wenn es die Notwendigkeit erforderte: Für Bau- und Renovierungskosten aufzukommen; für Altar, Orgel, Taufstein, neue Glocken (1926, Inschrift auf der großen Glocke: “Eine feste Burg ist unser Gott”), Abendmahlsgerät (Kelche, Kannen, Ciborium, Patene), zu spenden; Gedächtnisstiftung, u.v.a.m.
Stellvertretend für die große Anzahl der Spendernamen erwähnen wir unsere Brukenthalen, von denen jede Generation unsrer Kirche sehr zugetan gewesen ist und einen Beitrag geleistet hat. Heute noch sind sie in unseren Herzen gegenwärtig.
Was erinnert in Leschkirch heute an die Brukenthalen:
-Das Brukenthalhaus gegenüber der Kirche, das, wenngleich von staatlicher Seite unter Denkmalschutz gestellt, vor einigen Jahren an Privat verkauft worden ist und sich in einem erbärmlichen Zustand befindet;
-Das Epitaph (Erinnerungsmal) in der Kirche für Michael Brekner (1634 – 1678), gewesener Königsrichter Großvater Samuel von Brukenthal;
-Die Orgel in der “neuen” Kirche, 1806 von Samel Jos. Maetz (1760 – 1826) gebaut, dessen Großmutter mütterlicherseits, Maria Elisabeth Hirling, die älteste Schwester S. v. Brukenthals gewesen ist;
-Auf dem Friehof das Grabmal der Sophia Regina, geb. v. Brukenthal (1779 – 1854), verh. Michael Brandsch (1774 – 1837), Königsrichter, Großnichte S. v. Brukenthals.
Nicht beachtet haben leider unsere Urgroßväter die Stimme unseres einstigen Stuhlsnotärs Carl Mangesius (1831 – 1912), der auf die Gruftplatte der Ehegatten Michael Brekner von Brukenthal (1676 – 1736) und Susanna, geb. Conrad von Heydendorff (1686 1734), Eltern der Geschwister Samuels, hingewiesen hatte, die nach dem Verkauf des Burghofes an die Marktgemeinde und Bau des Bezirksgebäudes 1901 – 1903 “dafür zu sorgen, dass in irgendeiner Weise auch für die kommenden Geschlechter durch Aufrichtung einer Gedenktafel oder eines Eisengitters der bedeutungsvolle Ort kenntlich erhalten werde.” (Kbl. 1898 – 1943) Die Gruftplatte ist leider mit Bauschutt abgedeckt worden und nichtmehr sichbar.
Wir, die heutigen Generationen, leben mit Ausnahme einer älteren, kräklichen Frau außerhalb Siebenbürgens; einige verbringen Urlaubstage in Leschkirch, allerdings haben wir noch nicht begriffen, Verantwortung für unsere zurückgelassenen kirchlichen Kulturgüter zu übernehmen.

Michael Edling

 

Von Michael Edling, Jahrbuch 2007, Siebenbürgischer-sächsischer Hauskalender, 52. Jahrgang, herausgegeben von Hermann Schuller, Sebstverlag des Hifskomitees der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, S.84 – 87

 

Burg vor 1700

 

Leschkircher Kirchenburg um 1895

Blick zum Kirchenchor (l. Epitaph)

Blick zur Orgel

Kelche, Kannen und Epitaph befinden sich im Landeskirchlichen Museum „Teutsch Haus“ in Hermannstadt

Samuel von Brukenthals Elternhaus, 2013

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