Der Untergang von Underten


Georg und Mariechen

Zwischen dem Alzner und Kirchberger Hattert lag einst die Gemeinde „Gehonesen“(1), die eines Tages von Türken und Tataren zerstört wurde. Das Feld, wo die Ortschaft stand, nennt man heute „Äf Aingderten“(2) – weil sie für immer untergegangen ist.
Im Wald neben der Ortschaft besaß der Lehrer von Johannis einen Garten, darin hielt er seine Bienenstöcke. An einem Nachmittag, während er hier beschäftigt war, hatte ihn seine Dienstmagd Mariechen das Abendessen herausgebracht. Als sie sich auf dem Rückweg befand, bemerkte sie, daß eine Schar Feinde der Ortschaft nahte. Rasch lief sie zum Turm, steig hinauf und läutete mit der großen Glocke Sturm. Inzwischen hatten die Türken und Tataren die Gemeinde schon umringt und an mehreren Stellen angezündet.
Georg, der Mariechen hofierte, hatte an diesem Tag bei den Alzner Nachbaren zu tun gehabt. Als er gegen Abend heimritt und auf dem „Birkengruowenhäffel“ (3) ankam, hielt er plötzlich sein Pferd an und horchte. Da vernahm er den gewaltigen Klang der großen Glocke von Johannis, gleichzeitig, sah er die lohenden Flammen durch die Gemeinde laufen. Er gab dem Pferd die Sporen und jagte im Galopp der brennenden Ortschaft zu.
„Wi wid esi logden? fragte sich der Bursche. „Det wid um Ointch det Mariche sen!“ (4) ging ihm plötzlich durch den Kopf. Vor dem Turm, der bereits in Flammen stand, sprang, er vom Pferd und lief in einem Atem die Treppen hoch, um Mariechen zu retten. Oben fand er das Mädchen von einem Pfeil getroffen. Über ihr läutete noch die Glocke, die nun ein Flammenmeer umgab. Der Bursche beugte sich zu der Toten und nahm sie in seine Arme, da brach der Turm donnernd zusammen und begrub beide unter sich.
Nach vielen Jahren fand der Alzener Schweinehirt die Glocke von Johannis. Eine Sau hatte sie herausgewühlt und darein geferkelt. Bis 1916, als sie für Kriegszwecke beschlagnahmt und eingeschmolzen wurde, hing sie als die Johannisglocke im Alzner Turm.

Die bestraften Underter

Underten war eine sächsische Siedlung, die vor langen Zeiten untergegangen ist. Die Kastenholzer erzählen folgende Überlieferung über ihren Untergang:
Ein Hirte aus den Bergen war auf der Suche nach guten Weideplätzen nach Underten gelangt. Weil er seine Schafe auf den Wiesen der Gemeinde grasen ließ, schlugen ihn die Feldwächter tot. Darüber erzürnte der Landesfürst des Toten, und da er überdies ein Freund des Schafhirten war, beschloß er, Unterden für diese ruchlose Mordtat zu bestrafen. An einem Ostermorgen, als alle Underter, ausgenommen die Alten und Kranken, in der Kirche waren, rückte der Fürst mit seinen Leuten in die Gemeinde ein und ließ die Einwohner bis auf den letzten köpfen.
Der Hattert der nunmehr toten Siedlung teilten die benachbarten Kirchberger, Alzner und Leschkircher untereinander auf. Als der Turm der Kirchenburg nach Jahren einfiel, begrub er die große Glocke unter seinem Schutt. Jahrhunderte später wühlte sie eine Sau wieder heraus und ferkelte darein. Seither hängt sie auf dem Alzner Turm als die Glocke von Underten.

(1) Johannis.
(2) Auf Underten, wird hier mit „untergegangen“ assoziiert.
(3) Birkengraben-Hügel
(4) Wer wird denn so läuten? Am Ende wird es das Mariechen sein!

 

Friedrich Schuster, Der weisse Büffelstier, Ion Creanga Verlag, Bucarest1989, S. 28 – 30.

 

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